AUS GRAUER VORZEIT

Rhein-Zeitung 28./29. Januar 1989

Länger schon als fünf Jahre umtreibt den 38 jährigen studierten Maschinenbauer und Sozialpädagogen der Gedanke an seine Traumyacht, setzt er fast jede freie Minute ein für die Verwirklichung seiner großen Idee, die sein Leben völlig verändert hat und noch grundlegender verändern wird. Denn Manfred hängt seinen sicheren Uni-Job an den Nagel, gründet mit Freundin und Partnerin Angelica ein schwimmendes Charter-Unternehmen und startet damit in ein Abenteuer auf schwankendem Boden.

Dass sein Super-Kat (er hat die Grundfläche eines mittleren Einfamilienhauses) auch schwimmt und die hohen Ansprüche für den erfolgreichen Aufbau einer neuen Existenz erfüllt, dafür bürgen zwei in Seglerkreisen wohlklingende Namen: Burkhard Pieske, Deutschlands Katamaran-Papst, hat mit seiner "Shangri La" zehn Jahre lang die Welt umkreist und alle Erfahrungen dieses Zehnjahres-Törns in die Vision "Shangri La Nova" einfließen lassen. Mit der Konzeption dieses Optimal-Bootes betraute Pieske den renommierten Hamburger Yacht-Designer Georg Nissen, der die Herausforderung annahm und die "Nova" entwarf. Der Riss entstand am Computer, Nissen hat konsequent die elektronischen Konstruktions-Techniken in den Bootsbau eingebracht Als Manfred von diesen schicksalhaften Vorgängen erfuhr und bei seiner jahrelangen Suche nach "dem richtigen Boot" die Pläne zu Gesicht bekam, wusste er sofort "Das wird mein Schiff!"

Jeder Mensch hat Träume. Mancher träumt den Traum seines Lebens; doch die wenigsten haben den Mut, ihn zu verwirklichen, sie jagen zeitlebens einem Phantom hinterher.

Zu denen gehört Manfred Mittelbach nicht. Er baut den größten Segel-Katamaran, der je eine deutsche Werft verlassen hat.


Als vierten im Bunde tat Manfred den "Multi-hull"-(Mehr-Rumpf)-Spezialisten Georg Wochnik auf, der sich gerade mit seiner Werft "West-Yacht" bei Kalkar am Niederrhein selbständig machte. Unter Blut, Schweiß und auch Tränen entstehen dort jetzt zwei dieser Ungetüme, eine "Nova" für Manfred, eine für einen schon eingeführten Vercharterer.

Dass an der kleinen Landstraße, gleich hinter dem Dörfchen Louisendorf, Gigantisches vor sich geht, merkt man der unscheinbaren Backsteinhalle mit den grünen Schiebetoren wahrlich nicht an. Doch der Blick ins Innere entlockt dem Besucher sofort einen Ausruf des Staunens und der .Bewunderung. Wow! So groß hatte man sich das Ding nicht vorgestellt, auch wenn die mündlichen Beschreibungen zuvor nicht gerade bescheiden ausgefallen waren. Die Halle scheint wie - etwas zu sparsam -maßgeschneidert, denn die riesigen Rümpfe stoßen vorne und hinten bis auf Zentimeter an die Wand an. Wie bekommt man die denn hier raus? drängt sich sofort die Frage auf. Die Halle muss zum Teil demontiert werden, ist die ebenso überraschende wie einfache Antwort Entweder wird das Dach abgenommen, und ein Großhubschrauber hebt den "nur" bis zu neun Tonnen schweren Kat aus der Halle und fliegt ihn zum zehn Kilometer entfernten Rhein. Oder die Seitenwand wird ausgebrochen, und ein Tieflader trägt das Schiff auf dem Landweg - mehrere alte Obstbäume müssen dafür vom Straßenrand weichen - dorthin.

Die "Shangri La Nova" wird 14,20 m lang und 7,70 m breit sein. Das entspricht einer Grundfläche von 110 m2. Die begehbare Fläche vergrößert sich durch den Unter-Decks-Bereich auf 130 m2. An dem 16,80 m hohen Mast wird man am Wind 115 m2 Segel setzen können. Mit ausgefahrenem Schwert braucht die "Nova" 1,80 m Wasser unter dem Kiel, 0,75 m mit eingeholtem Schwert.Stehhöhe im gesamten Schiff trägt für Manfred ebenso selbstverständlich zum Komfort bei wie eine nach seinen eigenen Vorstellungen entworfene "gehobene" Inneneinrichtung sowie eine für einen modernen, hochseetüchtigen Kreuzerkatamaran höchst angemessene Ausrüstung.

In vier weit voneinander getrennt liegenden Doppelkabinen in den Rümpfen und im dazwischen liegenden Brückendeck finden acht Erwachsene bequem Platz; weitere Schlafmöglichkeiten gibt es in Einzelkojen in den Bugspitzen sowie in dem 20 m2 großen Salon. Dieser wird als das Herzstück der "Nova" besonders bevorzugt ausgestattet: Eine große Rundcouch, eine Navigator-Ecke mit Kartentisch und Instrumenten, riesige Fenster für uneingeschränkte Rundumsicht, sowie eine Bordbibliothek gehören ebenso dazu wie eine Küchenzeile mit Doppelspüle, Kühlschrank und vierflammigem Gasherd ("Kühle Drinks und gutes Essen müssen sein"). Gleich im Eingangsbereich wird eine Nasszelle mit WC, Waschbecken und Dusche installiert, so dass man das Heiligtum sauberen Fußes betreten kann.

Ebenso großzügig wird es im Cockpit - dem 4,6 x 2,2 m großen Sitz- und Steuerbereich im Freien - zugehen. Denn hier und im Salon, so argumentiert Weltenbummler Pieske, hält man sich den überwiegenden Teil des Bordtages auf, hier findet das eigentliche Seglerleben statt. Dennoch will Manfred den Schlafteil nicht vernachlässigen: Die Kojen sind üppig lang, breit und hoch; bei den Kabinen gibt es weitere Duschen, Waschbecken und Toiletten.

Alcazar in Bau

An Motorisierung hat sich Manfred für zwei Ford-Diesel mit je 48 PS entschieden, die ins Heck der Rümpfe eingebaut wurden. Er hat sie selbst in England besorgt und mit seinem alten Kombi nach Kalkar gefahren, um Kosten zu sparen. Auch wenn - oder gerade weil Manfred mit seiner Charteryacht gehobenen Ansprüchen gerecht werden will, ist er ständig um kostengünstige Beschaffung der Ausrüstung bemüht, reist er rastlos umher und vergleicht bei jedem Detail. Denn da er ein bestimmtes Budget nicht überschreiten will, kann das Vergleichen, das günstigere Selbstbesorgen und das häufige Selbst-Hand-Anlegen Komfort und Ausrüstungsstandard des Katamarans deutlich steigern. Über Preise spricht Manfred nicht gern, nur soviel, dass er als Erstbauer mit der Werft einen äußerst günstigen Preis ausgehandelt hat und dass die "Shangri La Nova" in dem Zustand, den er angepeilt hat, eine runde Million Mark wert sein wird - das bestätigt auch Werft-Chef Wochnik.

Gebaut wird der Kat, der durch ausgesprochen gefällige Linien ins Auge fällt (Designer Nissen: "Ganz besonders kam es mir auf die Ästhetik an"), nach dem derzeit weltweit ausgereiftesten Verfahren für Mehr-Rumpf-Boote - Georg Wochniks "West-System" in Anlehnung an die Bauweise der hochspezialisierten amerikanischen Gougeon-Brothers: Eine Sandwich-Konstruktion mit einem 16 Millimeter starken Holzkern aus stabweise verleimter kanadischer Rotzeder, auf den innen und außen Glasfasergewebe aufgezogen wird, dass dann wiederum in mehrere Schichten mit Epoxyd-Harz überzogen wird. Die Hersteller schwören auf unübertroffene Stabilität bei gleichzeitig hoher Elastizität.

Noch ein Jahr lang wird Manfred den langen Weg zwischen seiner Heimatstadt Esslingen bei Stuttgart und Kalkar hin- und hereilen (mittlerweile hat er einen ausrangierten Wohnwagen hinter der Werft aufgestellt um nicht gar zu oft fahren zu müssen). Dass er den Zeitpunkt da das Schiff endlich seinen Weg aufs nahe Wasser findet, kaum erwarten kann, ist ihm nachzufühlen. Dann geht es rheinabwärts bis zur Mündung und den Atlantik hinunter bis nach Gibraltar, quer durchs ganze Mittelmeer nach Marmaris an der türkischen Küste, wo sein Stützpunkt werden soll. "Die Türkei ist das kommende Land im Segelsport", begründet Manfred seine Standortwahl. Doch da ist er flexibel. Sollte sich der Wind drehen hin zu anderen Traumzielen, will er solchen Wünschen gerne nachkommen und gegebenenfalls auch in die Karibik, nach Südamerika oder gar in die Südsee umziehen - schließlich führt er ein mobiles Unternehmen. Und dann, wenn eines Tages die Kasse stimmt, soll's auch auf große Fahrt gehen. Denn schließlich hat die "Shangri La Nova" ein berühmtes Vorbild, stand Weltumsegler Pieske Pate bei ihrem Bau.

Alcazar in Bau
Alcazar in Bau

Ein Mann baut seinen Traum

Unter Manfred Mittelbachs Regie entsteht Deutschlands größter Fahrten-Katamaran

Alcazar in Bau

Auf der derzeit laufenden "Boot '89" wäre sie sicher zum Blickfang geworden - doch frühestens zur nächsten Ausstellung ist die "Nova" fertig. Bequeme Stehhöhe im großen Salon (unten rechts) und im Backbord-Rumpf (links), In dem sich Manfred und Angelica die Eigner- und Skipper-Doppelkabine einrichten.

Fotos: Flier

Auf dem riesigen Brückendeck zwischen den beiden Rümpfen des Katamarans studiert Manfred die Baupläne seiner "Shangri La Nova" - ständig das fertige Schiff vor dem geistigen Auge.